§§ 175 und 175a RStGB

Paragraph 175

Um nach der Gründung des Deutschen Reiches das Rechtswesen zu vereinheitlichen, wurde 1871 ein Reichsstrafgesetzbuch erlassen. Mit dem Paragraphen 175 schuf es erstmals seit 1555 wieder ein einheitliches Homosexuellenstrafrecht für alle deutschen Länder.
In Preußen löste das neue Recht die rigideren Strafbestimmungen des Allgemeinen Landrechts von 1794 ab. Jedoch führte es z.B. in Bayern die Strafbarkeit der Homosexualität wieder ein, die dort 1813 nach französischem Vorbild abgeschafft worden war.
Die Verurteilungszahlen nach § 175 stiegen kontinuierlich: Von ca. 44 im Jahre 1871 bis zu 491 im Jahre 1912. Während des 1. Weltkrieges halbierten sich die Zahlen, um ab 1922 auf durchschnittlich 650 Verurteilungen pro Jahr anzusteigen.

„Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Men-schen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.“

Schon im Mai 1933 setzte Hitler eine Amtliche Deutsche Strafrechtskommission ein, um das Straf-recht entsprechend den „Anschauungen und Bedürfnissen des neuen Staates“ umgestalten zu las-sen. Erklärtes Ziel der Juristen war es, die Strafverfolgung Homosexueller zu erleichtern. Indem man das Adjektiv „widernatürlich“ aus dem Gesetzestext strich, wurden jegliche homosexuellen Handlungen als Vergehen strafbar, auch Küsse, Berührungen und Onanie zwischen Männern. Und mit dem Paragraphen 175a RStGB wurden neue Straftatbestände – „schwere Unzucht“ – als Verbrechen eingeführt.
Geplante weitere Verschärfungen – im Gespräch war auch die Verfolgung lesbischer Frauen – woll-te Hitler erst nach Kriegsende umsetzen lassen.
Der Paragraph 175 RStGB war in dieser Form in der BRD bis 1969 geltendes Recht. In der DDR war ab 1950 wieder die alte Fassung des § 175 in Kraft – doch blieb der § 175a bestehen.

§ 175

Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft.
Bei einem Beteiligten, der zur Zeit der Tat noch nicht einundzwanzig Jahre alt war, kann das Ge-richt in besonders leichten Fällen von Strafe absehen.

§ 175 a

Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen mit Gefängnis nicht unter drei Mona-ten wird bestraft:
   1. Ein Mann, der einen anderen Mann mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gewalt für Leib und Seele oder Leben nötigt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen;
   2. Ein Mann, der einen anderen Mann unter Mißbrauch einer durch ein Dienst-, Arbeits- oder Unterstellungsverhältnis begründeten Abhängigkeit bestimmt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen;
   3. Ein Mann über 21 Jahren, der eine männliche Person unter einundzwanzig Jahren verführt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen;
   4. Ein Mann, der gewerbsmäßig mit Männern Unzucht treibt oder von Männern sich zur Unzucht mißbrauchen läßt oder sich dazu anbietet.