Charlotte Walli „Lola“ Eberle geb. Helm

Charlotte Eberle wird am 22.09.1903 in Rixdorf (ab 1912 Berlin-Neukölln) geboren. 1920 siedelt die Familie nach Berlin um. Nach Abschluss einer Lehre als Lageristin arbeitet Charlotte bis 1926 im Kaufhaus Wertheim. 1928 heiratet sie den Fotografen Herbert Eberle, geb. 29.08.1911 in Strasburg/Westpreußen (heute Polen).

Charlotte Eberle

Charlotte Eberle Foto: OdF-Ausweis 1946 Quelle: Landesarchiv Berlin, OdF-Akte

Nach der Heirat ist sie "ohne Beruf" als Prostituierte tätig und gerät damit ins Visier der Polizei. In der „Dirnenkartei“ der Dienststelle M II/5 der Kriminalpolizeileitstelle Berlin ist sie „letztmalig im Jahre 1938 als der Gewerbsunzucht nachgehend in Erscheinung getreten“. 1937 und 1938 wird Charlotte Eberle wegen „Aufforderung zur Unzucht“ und Kuppelei mehrfach mit Gefängnishaft bestraft. Charlottes Karteikarte beim Homosexuellendezernat KI M II 2 weist sie als Lesbierin unter dem Namen „Lola“ aus. Von ihrer Freundin „Lilo“, Lieselotte Märtens, geb. am 30.07.1919 in Berlin, wird sie mit „mein Süßer“ angesprochen. 1940 stattfindende Ermittlungen des Dezernats gehen dem Verdacht nach, dass in Charlottes Wohnung lesbische Orgien gefeiert werden, bei denen auch „Gegenstände zu sadistischen bzw. masochistischen Zwecken“ zur Anwendung kommen. Im gleichen Jahr lässt sich das Ehepaar Eberle scheiden.

Am 06.06.1941 wird Charlotte wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 223a und Kuppelei zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Im gleichen Prozess verurteilt das Amtsgericht Erich Eberle wegen „schwerer Kuppelei“ zu 3 Monaten Gefängnis. Als Charlotte Eberle ihre Strafe im Mai 1942 verbüßt hat, wird sie dienstverpflichtet. Sie arbeitet bei Telefunken, Berlin-Charlottenburg, Franklinstraße. 1943 ist Charlotte in Heimarbeit für eine Wäscherei als Plätterin beschäftigt. Ein Bombentreffer zerstört die Wäscherei und sie verliert ihre Arbeit.

Im November 1943 werden „Lola“ und „Lilo“ von einem anonym bleibenden Nachbarn wegen Kuppelei und unrechtmäßigem Bezug von Lebensmitteln angezeigt. Der mit „Ullrich“ benannte Denunziant fordert ein Einschreiten der Sittenpolizei, um die Männerbekanntschaften der Prostituierten, die in der Wohnung Wilhelmstraße 145, Berlin-Kreuzberg, ein und aus gehen, zu unterbinden und gegen die vermuteten Schwarzmarktgeschäfte der beiden Lesben vorzugehen.

Kriminalsekretär Spielmann von der Kriminalinspektion Berlin-Mitte KI M II 3, kontrolliert am 13.11.1943 vormittags gemeinsam mit dem Kriminalangestellten Steinmann die Wohnung von Charlotte Eberle. Doch die Anschuldigung auf unrechtmäßigem Besitz von großen Mengen an Lebensmitteln bestätigt sich nicht. Die Polizisten planen weitere Kontrollen in den Abendstunden, „um festzustellen, ob sich die Eberle erneut als Kupplerin betätigt.“

Doch auch bei der zweiten Wohnungskontrolle am 19.11.1943, 22.00 Uhr ist nur Charlottes Freundin Liselotte „Lilo“ Märtens in der Wohnung. Ohne Vorstrafen und mit festem Wohnsitz in der Kreuzberger Obentrautstraße 48 bei ihrer Mutter gemeldet, haben die Polizisten keine Handhabe gegen sie. Männliche Personen werden bei der Kontrolle nicht angetroffen.

Am 19.01.1944 überprüfen Kriminalsekretär Spielmann und Kriminalkommissar Dr. Schwarzer Charlottes Wohnung in den späten Nachmittagsstunden. Diesmal öffnet Eberles Freundin und Arbeitskollegin bei Telefunken Gertrud Eisfelder, geb. Elsemann, 09.05.1906 in Berlin. Gertrud führt die Polizeibeamten in Charlottes Zimmer. Dort warten 2 Soldaten auf „Lola“. Wenig später kommt noch ein dritter Freier hinzu. Nachdem die 3 Soldaten übereinstimmend versichern, „dass sie mit anderen Frauen in der Wohnung der Eberle niemals geschlechtlich verkehrt hätten“, werden sie weggeschickt. Im Beisein von Gertrud Eisfelder wird die Wohnung nun einer „strengen Durchsuchung“ nach „Gegenständen zu sadistischen bzw. masochistischen Zwecken“ unterzogen. Die Suche bleibt ohne Ergebnis. Auch unzüchtige Bilder werden von den beiden Polizisten nicht gefunden.

Ohne ausreichende Beweise muss Spielmann die Ermittlung gegen „Lola“ und „Lilo“ noch am Tag der dritten ergebnislosen Wohnungskontrolle einstellen. Charlotte Eberle und Liselotte Märtens werden nicht vernommen. Doch der Kriminalsekretär meldet Charlotte Eberle der Kriminalpolizeileitstelle Abteilung V zwecks „Zuweisung einer nutzbringenden Beschäftigung“. Dies solle verhindern, so ist im Vermerk Spielmanns zu lesen, dass die zurzeit arbeitslose Eberle „auch am Tage häufig Männerbesuche zum Zwecke des Geschlechtsverkehrs in ihrer Wohnung empfängt.“

1945 heiraten Charlotte und Herbert Eberle erneut und ziehen nach Berlin-Müggelheim, Odernheimer Straße 668, Kolonie Leopold.

OdF-Ausweis

OdF-Ausweis Charlotte Eberle. Quelle: Landesarchiv Berlin

Herbert Eberle wird am 03.12.1945 als Opfer des Faschismus (OdF) anerkannt, weil er angeblich aus politischen Gründen versteckt gelebt hatte und dann im Gefängnis an Tbc erkrankt war. Er stirbt am 13.03.1946. Zwei Monate später wird seine Anerkennung auf Charlotte umgeschrieben. Am 10.11.1949 wird ihr die Anerkennung als OdF jedoch entzogen, weil sich herausstellt, dass ihr Ehemann nicht als politisch Verfolgter, sondern wegen Kuppelei und Arbeitsverweigerung im Gefängnis war.

Charlotte heiratet erneut und heißt ab 1950 Charlotte Graefe. Sie wohnt in Berlin-Kreuzberg, Hagelberger Str. 12. Am 08.07.1950 wird sie in einem Strafverfahren wegen des Vorwurfs, sich die Anerkennung als Opfer des Faschismus erschlichen zu haben, vom Amtsgericht Köpenick (2 Ds 27/50) freigesprochen. Sie habe nicht wissen können, dass ihr verstorbener Ehemann bei Beantragung der OdF-Anerkennung falsche Angaben gemacht hatte.

 

Text: Bernd Grünheid

 

 

Quellen

Landesarchiv Berlin A Rep. 358-02 Nr. 114233 Verfahren wegen Kuppelei und unrechtmäßigen Besitz von Lebensmitteln
Landesarchiv Berlin A Rep. 341-02 Nr. 22276/77 Herbert Eberle wegen Arbeitsuntreue 1 J Gf (AZ: 73 V. Rs 147/44)
Landesarchiv Berlin A Rep. 341-02 Nr. 16285 Strafsache Charlotte Eberle wegen Kuppelei, (AZ:  Kup Js 164/41)
LAB C Rep. 118-01 Nr. 1907 OdF-Akte Charlotte Eberle