Wir über uns / Who We Are

Das erste Projekt des Kulturrings in Berlin e.V. zur Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit nahm seine Arbeit 1997 auf. Wir wollten uns in der Bürgerbewegung der Schwulenverbände für die Aufhebung der NS-Urteile nach § 175 StGB und deren Nachwirkungen auf das Leben der Homosexuellen nach dem Krieg engagieren. Bald entdeckten wir im Landesarchiv Berlin die Staatsanwaltsregister und die Justizakten des Landgerichts Berlin, die gerade dort reponiert worden waren. Wir interessierten uns vor allem für die Biografien der Männer und das Leid, das ihnen in der NS-Zeit und danach geschehen war. Es entstanden, unter der Federführung von Andreas Pretzel, zwei Bücher, "Wegen der zu erwartenden hohen Strafe" (2000) und in Zusammenarbeit mit der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft "Opfer unter Vorbehalt" (2002). Zur Buchpremiere im Landesarchiv Berlin sprach der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit.

Einweihung des Mahnmals für die vier homosexuellen Lobetaler

Einweihung des Mahnmals für die vier homosexuellen Lobetaler, die 1943 zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden, am 13.10.2008.

Zum Gedenken an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus verlegten wir mit Gunter Demnig Stolpersteine für das Freundespaar Walter Boldes, geb. am 13.08.1898 in Breslau, hingerichtet am 14.12.1942 in Plötzensee und Paul Küster, geb. am 17.04.1908 in Berlin, hingerichtet am 19.05.1942 in Brandenburg/Görden. Auf unseren Antrag stiftete der Polizeipräsident von Berlin eine Gedenktafel zum Polizistenmord. Am 24. April 1945 wurden die in der Polizeiarrestanstalt Spandau, Moritzstraße 10 inhaftierten Männer zum "Endkampf" auf freien Fuß gesetzt. Nur die Polizeibeamten Otto Jordan, Reinhold Höpfner, Willi Jenoch und Erich Bautz wurden wegen ihrer Homosexualität in das Polizeibarackenlager Pionierstraße gebracht, erschossen und verscharrt. Aus unserem Projekt zum Sondergericht Berlin entstanden die Forschungen von Andreas Pretzel zu den Homosexuellen in Lobetal. Auf Anregung des Archivars Jan Cantow entstand dort ein Gedenkstein für Hans Festersen, geb. am 1.10.1907 in Berlin-Friedenau, Fritz Lemme, geb. am 18.8.1909 in Wusterhausen a.d. Dosse, Friedrich Riemann, geb. am 7.10.1896 in Essen und Ernst Hirning, geb. am 9.5.1913 in Berlin-Schmargendorf. Sie wurden in der Nacht vom 07. zum 08.09.1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Seit 1997 arbeiten die Projekte an einer Berliner Justiz-Datenbank mit ausführlichen Informationen zu den Verfolgten und zu den Tätern. Dabei sind wir auch in Kontakt mit Rainer Hoffschildt, der zur Deportation Homosexueller ins KZ forscht. Nach Vollendung, so der Deal, wird sie dem Landesarchiv Berlin für die öffentliche wissenschaftliche Nutzung übergeben.

Ein Schwerpunkt der Projektarbeit ist die Darstellung homosexuellen Lebens in Berlin. In Präzisionsarbeit werden, Bezirk für Bezirk, die schwul-lesbischen Treffpunkte ermittelt und dokumentiert, teils in Zusammenarbeit mit dem Schwulen Museum. Tafeln aus den Bezirken Mitte, Spandau, Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg sind Teil der Ausstellung des Kulturrings. Die entstehende Berlin-Karte ist für die Veröffentlichung vorgesehen.

Andreas Pretzel bei der Eröffnung der Ausstellung

Andreas Pretzel bei der Eröffnung der Ausstellung "Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft. Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit" im Rathaus Charlottenburg-Wilmersdorf (27.8. – 2.10.2013).

2003 entstand die erste Ausstellung des Kulturring in Berlin e.V. zu unserem Thema: "Ich ahne nun, dass die Luft ganz dick ist", Schicksale Homosexueller in Berlin-Mitte 1933-1945, erarbeitet von Ursula Meinhard. Sie wurde im Museum Mitte und im Kriminalgericht Moabit, dem Ort der Täter, gezeigt. Dort wurde die Ausstellung von der Justizsenatorin Karin Schubert eröffnet.

Ein neues Projekt mit Klaus Berndl als Kurator überarbeitete die Ausstellung, so dass sie berlinweite Aussagen zur Homosexuellenverfolgung trifft. Seitdem wird sie ständig erweitert und ergänzt. Die Ausstellung "Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft. Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit" wurde erstmals 2006 im Deutschen Bundestag gezeigt, kurz danach in der Akademie der Künste als Hintergrundinformation für die Entwürfe des Homosexuellendenkmals, später auch an anderen Orten in und außerhalb von Berlin. 2013 durften wir sie zum 1. LSBTI-Kongress der Magnus-Hirschfeld-Stiftung präsentieren. Dort zeigten wir die erste Ausstellungstafel zur Verfolgung einer lesbischen Frau, Elsa Conrad, deren Foto und Biografie uns Claudia Schoppmann geschenkt hatte. Das politische Umfeld zur Opfergruppe Homosexuelle hatte sich verändert.

Seit dieser Zeit beschäftigen sich die Projekte zur Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit auch mit dem Schicksal lesbischer Frauen. Dazu wurden viele Akten aus den Bereichen Fürsorgeerziehung, Justiz und Polizei gelesen. Einige interessante Biografien stellen wir hier vor. Die Arbeit geht weiter, und wir sind noch neugieriger als vor zwanzig Jahren. Wie haben Transsexuelle damals gelebt? Ein Thema, das wir zu verstehen suchen.

Künftig werden die Datenbanken des Kulturring in Berlin e.V. zur Verfolgung und Diskriminierung von LSBTI in der NS-Zeit noch vielgestaltiger, umfangreicher aufgestellt sein. Sie werden auch ausführliche Informationen zu Nachkriegsschicksalen der NS-Verfolgten enthalten. Dies sind Themen, für die wir interessierte Mitarbeiter*innen gut gebrauchen können. Falls Sie Lust haben, nehmen Sie Kontakt mit uns auf: rosa-winkel@kulturring.org.

Die AG Rosa Winkel beim Kulturring in Berlin e.V. wurde auf Initiative von Carola Gerlach 2001 gegründet. Sie ist ein ehrenamtliches wissenschaftliches Koordinierungsgremium der zeitlich begrenzten LSBTI-Projekte, das perspektivisch arbeitet.

Text: Dr. Carola Gerlach